Der nachfolgende Text von Tarek Leitner (siehe Buchtipp) ist in der ÖAMTC Zeitschrift "auto touring" Ausgabe Sep/12 auf Seite 46 erschienen. Der Christian Brandstätter Verlag hat uns freundlicherweise genehmigt den Text hier zu Veröffentlichen.

Österreich wird verschandelt


Natürlich gibt es sie vereinzelt noch: die schönen Straßen mit grandiosem Blick, auf den man gerne einen Gang zurückschaltet und langsamer die herrliche Umgebung genießt. Aber um solche Stecken zu finden, muss man schon ein paar Bücher über die schönsten Alpenstraßen studieren. Denn die Umgebung, durch die wir die meiste Zeit fahren, ist schon lange nicht mehr schön. Wir glauben nur noch, dass sie schön ist, weil wir das gelernt haben. So fahren wir etwa in das „schöne“ Salzkammergut (und müssen uns geradezu bemühen, dieses immer angeführte schmückende Beiwort wegzulassen). Schön sind diese Orte für uns aber nur noch, weil wir übereingekommen sind, dass es sich um schöne Orte handelt – unabhängig davon, wie sie mittlerweile wirklich aussehen.

Was sehen wir, wenn wir wirklich hinschauen – und die Verschandelung unserer Umgebung nicht verdrängen oder sie mit der Ausrede hinnehmen, die Welt habe so viele andere Probleme, da könne man nicht jeden Obstbaumhain beklagen, der einem Diskontmarkt zum Opfer fällt? Schließlich ist der ja sehr wirtschaftlich und ermöglicht erst, dass die Region überlebt. Mehr denn je sind wir gewillt, dem Argument der Wirtschaftlichkeit alles unterzuordnen. Da sind die Umfahrungsstraßen die einst in den ausgehenden 70er-Jahren überall gebaut worden sind, um die Orte ruhiger zu machen – und letztlich dadurch auch wieder schöner und lebenswerter. Nach und nach siedelten sich zuerst jene Unternehmen dort an, die billigen Grund und viel Platz brauchen: Gebrauchtwagenhändler, Baumärkte und die üblichen verdächtigen Diskonter. Mittlerweile ziehen aber viele nach, für die es im Ortskern einfach zu wenig Frequenz gibt: Bäcker, Optiker, Apotheker beispielsweise. Und plötzlich entsteht vor den Toren des Ortes derselbe Ort noch einmal – nur viel hässlicher, ungleich mehr Ressourcen verbrauchend, tief ins Land greifend mit Parkplatzwüsten, vor deren vielfach leeren Flächen schmale Fahnen mit den Logos der Supermärkte wehen.

Das ist Objektiv hässlich. Dorthin fährt niemand, um sich in schöner Umgebung wohlzufühlen. Dort entstehen Hybridräume, eine Vermischung aus urbanem und ländlichem Raum. Aber schon bevor wir uns den „schönen Orten“ nähern, die wir aufsuchen wollen und die uns nur noch in einer ganz schmalen Perspektive einen tatsächlichen schönen Anblick bieten, dürfen wr weder links noch rechts schauen: bei der Fahrt über die Autobahn. Die Autobahn gilt zu Recht als hässlicher Einschnitt durch oft schöne Landschaften. Nicht erst seit sie mit immer umfangreicheren Auf- und Abfahrtsrampen eingerahmt wurde, mit Parkplatzflächen (die früher kleinen Parkbuchten sind einfach stillgelegt, aber nicht rückgebaut), mit Kettenanlegestelle, Lkw-Kontroll-Buchten und vielem mehr. Noch vorhandene Bauernhöfe dienen als überdimensionale Werbefläche.

Die Logik vieler Kommunen ist allerdings nicht die, solche Einschnitte einzudämmen – ganz im Gegenteil: Wo es hässlich ist, kann es ruhig noch hässlicher werden, und daher wird rundherum erlaubt, was man bei allem wirtschaftlichen Zwang der Umstände sonst nirgends erlauben würde. Auf billigem Grund finden die Firmen viel Platz – und zeigen uns von weitem ihren Unternehmenszweck, auch wenn wir ihn gar nicht so genau wissen müssen. Und weil die potenziellen Kunden so schnell vorbeiziehen, ist alles besonders groß gestaltet, damit er bis weit in die Landschaft hinein sichtbar ist: rote Sessel so groß wie kein anderes Haus der Gemeinde, Bierdosen im Sattelschlepperformat und sich hingebende Frauen als Neonröhren-Silhouetten – selbst hier gibt es einen Branchenmix. Die Lärmschutzwände können die dankbare Aufgabe übernehmen, uns vor diesem Blick in die devastierte Landschaft zu schützen. Das leisten sie allerdings nicht. Im Gegenteil – ihr künstlerischer Anspruch kränkt uns noch mehr. Wie kann man auf die Idee kommen, die Abwechslung von längs- und quergerillten Holzzäunen im Baumarktdesign und gewellten Blechverschlägen, gelegentlich durch grelle Farbabschnitte aufgelockert, als Gestaltung eines Bauwerks zu betrachten? Besonders originell: Fototapeten mit Äpfeln und Birnen (in einiger Beliebigkeit zwischendurch eingebaut) weisen uns darauf hin, dass hinter der Wand das Mostviertel liegt.

All das wird uns ständig als Notwendigkeit eingeredet; was die äußere Gestaltung betrifft, als wirtschaftlich begründet. Wir müssen uns daher rasch dagegen wehren, dass die ganze Landschaft zu einem Hässlichkeitsbrei verkommt, an dem wir nur schnell vorbeikommen wollen. Wir brauchen die Schönheit unserer Umgebung mehr als alles andere, um ein schönes Leben zu haben – selbst wenn wir mit dem Auto durch Österreich fahren.